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Wer haftet bei einem Unfall mit einem Mitgänger-Flurförderzeug?

Februar, 2015
Erschienen:
BPUVZ – Zeitschrift für betriebliche Prävention und Unfallversicherung

Mitgänger-Flurförderzeug umgekippt – Fahrer schwer verletzt
Wie sieht es mit der Haftung aus?

In vielen Betrieben wird der Umgang mit sog. mitgängergeführten Flurförderzeugen auf die leichte Schulter genommen. Der Bediener erhält eine kurze Einweisung und wird anschließend an die Arbeit geschickt. Und dann passieren Unfälle wie in einem Lager in Frankfurt. Dabei wurde ein 32-jähriger Lagerarbeiter vom umstürzenden Gerät eingequetscht und zog sich innere Verletzungen und mehrere Brüche zu.

Der Fall

Der verletzte Lagerarbeiter wollte mit dem Gerät aus 4 m Höhe eine Palette aus dem Regal holen. Beim Herausfahren kippte das Fahrzeug um und erfasste ihn.

Die Fakten

Das Flurförderzeug war technisch in einwandfreiem Zustand. Es gab jedoch keine Gefährdungsbeurteilung und keine Betriebsanweisung für seinen Einsatz von Seiten des Unternehmers. Dem Bediener wurde in lediglich 10 Minuten die Funktionen des Gerätes erklärt. Eine weitergehende Schulung oder Übung mit dem Gerät erfolgte nicht.

Die Unfallursache

Als Unfallursache wurde das Nichtbeachten der wirklichen Tragfähigkeit des Fahrzeuges in
Verbindung mit einem Fahrfehler ermittelt.

Mitgänger Flurförderzeug (FFZ), deichselgeführter Mitgängerhochhubwagen

Um ein solches (oder ähnliches) Mitgänger-Flurförderzeug (sog. deichselgeführter Mitgängerhochhubwagen) drehte es sich bei dem Unfall.

Die Rechtslage

Bei mitgängergeführten Flurförderzeugen handelt es sich um mobile Arbeitsmittel.

Wie bei allen Arbeitsmitteln dürfen an ihnen nur die Personen arbeiten, die daran auch geschult sind. Nur diese Personen dürfen vom Unternehmer/Arbeitgeber eingesetzt werden. Das geht schon aus § 12 ArbSchG hervor. Danach darf der Arbeitgeber auf den konkreten Arbeitsplatz und das konkrete Arbeitsmittel bezogen nur die Personen einsetzen, die ausreichend und angemessen unterwiesen sind.

Unter dem Begriff „Unterweisung“ nach § 12 ArbSchG ist eine Ausbildung zu verstehen.

Der Begriff darf nicht verwechselt werden mit der sog. Einweisung in eine Maschine oder der
regelmäßigen jährlichen Unterweisung. Beide sind zusätzlich zu einer Ausbildung erforderlich.

Die Einweisung ist immer vor der erstmaligen Bedienung eines "neuen" Gerätes vorzunehmen.

Die mind. 1x jährlich durchzuführende Unterweisung ist nach § 4 DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ (frühere BGV A1) geforderter Sicherheitsstandart zur Unfallverhütung für jedes Unternehmen anzusehen. Sie bedeutet quasi, dass der Unternehmer verpflichtet ist, seine Mitarbeiter bezogen auf ihr Aufgabenfeld und die Arbeitsmittel auf dem aktuellen Stand zu halten.

Hingegen sind dem Geräteführer bei der arbeitsmittelbezogenen Ausbildung/Unterweisung nach 12 ArbSchG die rechtlichen und technischen Grundlagen in Bezug auf das Arbeitsmittel MitgängerFlurförderzeug in Theorie zu vermitteln und durch praktische Übungen mit diesem Gerät die Sicherheit lernen zu lassen, die der Fahrzeugführer bei der täglichen Arbeit mit ihm benötigt.

Sinnvoll ist nach Abschluss der Ausbildung/Unterweisung eine Prüfung in Theorie und Praxis an diesem Arbeitsmittel vorzunehmen. Dies gewährleistet für den Arbeitgeber, dass er den Nachweis erbringen kann, auch die „richtige“ Person an diesem Arbeitsmittel einzusetzen.

Wird ein Mitgänger-Flurförderzeug ohne diese Voraussetzungen gesteuert, so wird es nicht bestimmungsgemäß verwendet. Die bestimmungsgemäße Verwendung gibt der Hersteller der Maschine vor. Dieser verlangt in seiner Betriebsanleitung, dass „sein“ Fahrzeug nur von daran geschulten/ausgebildeten Bedienern benutzt wird, im Falle eines Unfalles anderenfalls eine Haftung daraus resultieren kann.

Verantwortung für den Einsatz des Geräteführers trägt der Unternehmer oder sein Beauftragter. Dieser muss wissen, dass nur ausreichend geschultes Personal eingesetzt werden darf. Der Unternehmer oder sein Beauftragter hat die Verkehrssicherungspflicht für den Einsatz der Arbeitsmittel sowie die daran arbeitenden Personen. Das gilt für den Einsatz aller Arbeitsmittel.

Überträgt der Verantwortliche die Gerätebedienung auf eine Person, die nicht geeignet und ausgebildet ist sowie ihm die Befähigung hierüber nicht nachgewiesen hat, kann er aus den Grundsätzen der fehlerhaften Pflichtenübertragung sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich haften.

Zahlreiche Bestimmungen sehen eine qualifizierte Schulung/Ausbildung von Flurförderzeugführern - auch Bedienern von mitgängergeführten Flurförderzeugen - vor, so der bereits zitierte § 12 ArbSchG und der § 4 DGUV Vorschrift 1, aber auch die Vorschriften zur Gefährdungsanalyse nach ArbSchG und BetrSichV.

Es gibt zudem eine Technische Regel für Betriebssicherheit, die sich mit mobilen Arbeitsmitteln, also klassisch unseren Flurförderzeugen befasst, die TRBS 2111 Teil 4 (wird derzeit vom Ausschuss für Betriebssicherheit überarbeitet). Diese Regel gilt als Stand der Technik hinsichtlich der Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen durch mobile Arbeitsmittel. Sie gibt dem Arbeitgeber vor, dass er im Umgang mit allen Flurförderzeugen gehalten ist, die persönliche Qualifikation seiner Mitarbeiter durch Ausbildungen, Fort,- und Weiterbildungen sowie tätigkeits- und arbeitsplatzbezogene Unterweisungen zu erhöhen und damit ein Höchstmaß an Arbeitssicherheit zu gewährleisten.

Diese Vorschrift TRBS 2111 Teil 4 unterteilt gerade nicht in verschiedene Flurförderzeuge, (wie z. B. Stapler, Lagertechnikgeräte oder Mitgängergeräte), sondern spricht ausdrücklich von allen Flurförderzeugen, also auch unseren Mitgängergeräten.

Rechtlich sind die TRBS Konkretisierungen und Auslegungen der Betriebssicherheitsverordnung. Diese Betriebssicherheitsverordnung hat ihre Grundlage im Arbeitsschutzgesetz. Wir können also sagen, dass die TRBS die gesetzlichen Voraussetzungen, die das Arbeitsschutzgesetz in Zielvorgaben fordert, ausfüllt. Rechtlich gesehen hat derjenige Unternehmer, der sich an die TRBS hält, die Vermutungswirkung auf seiner Seite, „richtig“ und vorschriftsmäßig gehandelt zu haben.

Erfüllt der Arbeitgeber die für ihn aufgestellten Vorgaben nicht, muss er mit einer Haftung rechnen, wenn ein Unfall geschieht.

Bezogen auf den konkreten Fall hier heißt das: Eine 10 - minütige „Einweisung“ in das Gerät allein reicht in keinem Fall für einen sicheren Einsatz aus. Unterstellt man eine „richtige“ und gewissenhafte Ausbildung/Schulung des hier verletzten Mitarbeiters, so wäre naheliegend gewesen, dass er die Tragfähigkeit seines Arbeitsmittels richtig beurteilt hätte und es derart, wie es zum Unfall geführt hat, nicht eingesetzt hätte.

Vorgaben für Ausbildungslänge oder -inhalte gibt z. B. der DGUV Grundsatz 308-001 vor (früher BGG 925, „Ausbildung und Beauftragung der Fahrer von Flurförderzeugen mit Fahrersitz und Fahrerstand“), auch wenn dieser vom Titel her suggerieren könnte, er richte sich nur an die Ausbildung von Bedienern von Flurförderzeugen mit Fahrersitz oder -stand , also z. B. dem klassischen Fronstapler, kann eine sicherheitsgerechte Ausbildung/Unterweisung von Bedienern von Mitgängerflurförderzeugen aus diesem Grundsatz sehr wohl auch abgeleitet werden. Dass eine solche dem Grunde nach zu erfüllen ist, ergibt sich auch z. B. aus § 7 II DGUV Vorschrift 68 „Flurförderzeuge“ für Mitgängergeräte (früher BGV D27. Im Einzelnen ausführlich zu Ausbildung und zahlreichen Lehrplänen: Bernd Zimmermann „Gabelstaplerfahrschule – Flurförderzeuge, Beschaffenheit – Ausbildung – Einsatz“, 9. Aufl. 2014, Resch-Verlag Gräfelfing

Zudem wäre vor dem Einsatz eine Gefährdungsanalyse vom Unternehmer hinsichtlich der Arbeit der verletzten Person vorzunehmen (s. ArbSchG und BetrSichV) und eine Betriebsanweisung zu erstellen gewesen (s. DGUV Vorschrift 68 § 5).

Im Ergebnis muss somit dem Unternehmer oder seinem Beauftragten, der für den Einsatz des Geräteführers verantwortlich war, ein erheblicher Vorwurf gemacht werden, den Unfall mitverursacht zu haben.

Ohne entsprechende Ausbildung/Unterweisung für das Fahrzeug hätte der Verletzte die Arbeit nicht aufnehmen, ihm ein Fahrauftrag gar nicht erteilt werden dürfen.
Eine mögliche Entschuldigung des Verantwortlichen, er habe aber nicht gewusst, unter welchen Voraussetzungen er den Kollegen hätte einsetzen dürfen, kann ihn nicht entlasten, denn es ist seine Sache, im Rahmen seiner Organisationshoheit und Verkehrssicherungspflicht entweder die Voraussetzungen selbst zu kennen oder sich (über andere Personen, Institutionen oder Berufsgenossenschaften) hierüber sachkundig zu machen.

Einmal mehr gilt auch hier der alte Grundsatz:

„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!“

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